Dietmar Zöller

Weltautismustag 2015



Weltautismustag
am 2. April 2015

Von Inklusion können Menschen aus dem Autismus-Spektrum nur träumen.
Inklusion ist ein Wort zum Träumen. Paradiesische Zustände für
behinderte Menschen. Viele einflussreiche Personen beschäftigen
sich in vielen Sitzungen mit dem Thema, wie man die Behindertenkonvention
umsetzen soll. Für den Schulbereich wird immer deutlicher, dass zusätzliche
Lehrerstellen von Nöten sind. Das kostet Geld. Aber da sind ja auch noch die
Flüchtlinge, für die die Kommunen, Länder und der Bund in die Tasche greifen
müssen. Im politischen Kontext ist das Problem,
das mich umtreibt, klein und wenig bedeutsam. Es geht um Menschen, die eine
Diagnose aus dem Autismus-Spektrum bekamen oder darauf warten, dass die
Diagnose verlässlich gestellt wird.
Beinahe täglich bekomme ich mit, dass besorgte Mütter,
manchmal auch Väter; bei autismus Stuttgart e.V. anrufen. Oft nimmt meine
Mutter, die seit 1979 zu diesem Verband gehört, Anrufe an. Die
Anrufer/innen breiten ihre Sorgen aus und wollen zum Beispiel wissen, zu
welchem Arzt oder in welche Klinik sie ihren Angehörigen bringen können.
Mein außergewöhnliches Hörvermögen (typisch für Menschen mit Autismus)
macht es möglich, dass ich Telefongespräche oder auch direkte Gespräche
mithöre, auch wenn die Türen verschlossen sind.

1. Beispiel:
Eine Mutter ruft an und berichtet, dass der
siebenjährige Sohn sich weigert, in die Schule zu gehen. Man hat das Kind in
eine kleine, neu eröffnete Sonderklasse für autistische Schulanfänger gesteckt.
Er wolle etwas lernen und nicht spielen, sagt der Junge. Er kann schon lesen,
rechnen und schreiben, zeigt das aber nicht vor fremden Leuten. Da ich selbst
so ein Schüler war, habe ich großes Verständnis für dieses Verhalten: Leider
hat sich noch nicht in Deutschland herumgesprochen, was im angelsächsischen
Raum schon länger bekannt ist, dass Menschen aus dem Autismus-Spektrum keineswegs
geistig behindert, sprich intellektuell beeinträchtigt, sind. 70 bis 75 % seien
geistig behindert, diese Behauptung geistert noch in vielen Papieren herum. Aus
meinem „autistischen“ Bekanntenkreis haben alle vor vielen Jahren die Diagnose
„geistige Behinderung“ bekommen, Auch in meiner Krankenakte liegen solche
ärztlichen Bescheinigungen.
2. Beispiel: 
Der 17jährige Jugendliche, der schon als Kind auffällig war und vielen Fachleuten
vorgestellt wurde, aber nicht die Diagnose Autismus bekam, verweigert sich total,
verlässt das Haus nicht mehr und geht seit zwei Jahren nicht in die Schule. Die Mutter
hat keine Möglichkeit, den Sohn zum Arzt zu bringen. In einem solchen Fall werden
Behörden tätig. Die Mutter hat ein berechtigtes Interesse daran, dass ihr Sohn
die richtige Diagnose bekommt; denn ohne Diagnose hat sie keinen Anspruch auf
Hilfen, die einem Jugendlichen mit Autismus zustehen. Die Mutter ist
kooperativ, Wogegen sie sich wehrt, das ist die Mitteilung, dass ihr Sohn von
der Polizei abgeholt werden soll, um ihn in eine Klinik zu bringen. „Kann ihn
nicht ein Ambulanzwagen abholen?“ höre ich die empörte Mutter sagen.

Denkt denn niemand an die Gefühle eines 17jährigen, der sich aufgegeben hat? Ach, da
ist ja immer noch das Vorurteil, dass Menschen mit Autismus keine Gefühle
haben. Heute könnte man wissen, dass es sich um ein „Ammenmärchen“ handelt. Man
müsste die Bücher lesen, die Autoren aus dem Autismus-Spektrum geschrieben
haben. Tiefe Empfindungen und eine differenzierte Selbstreflektion sind möglich.
Der Rückzug eines pubertierenden Jugendlichen drückt tiefe Verzweiflung aus.

3. Beispiel: 
Die Mutter des 13 jährigen autistischen Jun gen nimmt es auf sich, abends 25 km zu
fahren, um zu meiner Mutter zu kommen, die einen kleinen Gesprächskreis anbietet.
Ich höre zu, was die Frau, deren Stimme jung und fast depressiv klingt,
stockend erzählt. Nach Scheidung und Umzug in einen ländlichen Ort kämpft sie
darum, die passende Schule für ihr Kind zu finden. Der erste Versuch
scheiterte. Die Frau bemüht sich und wird trotzdem von denen, die sie
unterstützen sollten, so hingestellt, als sei sie unfähig, für ihr Kind die
richtige Entscheidung zu fällen. Der Junge weigert sich, in die Schule zu
gehen. Was hat er dort erlebt? Zu Hause verhält er sich recht angepasst,
spricht auch. Nun droht der Sorgerechtsentzug, damit er in eine bestimmte
Klinik eingewiesen werden kann. Denkt denn keiner an das Kind, das alles
versteht, aber es vor Fremden nicht zeigt.

Bleibt nachzutragen: Die Mütter, von denen die Rede war, sind alle geschieden. Alle
haben Kontakt zu einem Anwalt aufgenommen, um die Rechte des autistischen
Kindes oder Jugendlichen durchzusetzen.

Von Inklusion können Menschen mit Autismus und ihre Eltern nur träumen

 


 


 


 


 


 


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