Dietmar Zöller

Gedichte


Meine Gedichte und Bilder (auf Seide gemalt)

 
 

Geduld
sagte der freund
warte
forderte
sie.
 
ungeduldig
nahm
er
sein
ich
unter den arm
und
verschwand
unter die decke.
 
(Mai 1994)
 
Gewitterwolke
 
Dunkle Wolke droht am Himmel,
gelbe Blumen blüh’n am Rand,
während mit verdrehten Augen
er geht an der Mutter Hand.
 
Einen Donner hört er grollen.
Kleine Kinder schrei’n beim Spiel.
Doch mit seinen nackten Nerven
Ist ihm jeder Laut zu viel.
 
(Mai 1993)
 
Meine Unruhe
 
Meine Unruhe ist nicht beherrschbar,
auch mit dem besten Willen nicht.
Sie kommt und geht und kommt wieder,
Schnell wie der Wind ist sie da
und treibt ihr Unwesen.
Gefangen bin ich in den Klauen
des Windungeheuers.
(1994)
 
 
Windungeheuer
 
Wenn es April wird,
wenn das Wetter seinen Launen freien Lauf lässt,
dann packen mich die Windungeheuer,
schütteln mich
und vermischen meine Sinneswahrnehmungen
zu einem untrennbaren Wahrnehmungsbrei.
Ich habe keine Chance,
wenn mich die Ungeheuer in ihren Krallen halten
und wieder loslassen,
gerade wie sie Lust haben.
Nichts ist sicher.
Ich weiß in manchen Momenten nicht,
ob ich liege oder schwebe.
Ich weiß nicht,
ob ich noch Grenzen habe
oder ob ich aufgelöst bin
und eins mit der Luft.
Windungeheuer umschleichen mich.
Sie äffen mich nach.
"Pack mich",
ruft man mir zu,
und ich greife und greife,
aber ich spüre nichts in den Händen.
Ich strecke meine Hand aus
und spüre keinen Widerstand.
Wo bin ich?
Wer bin ich?
Ein Mensch ohne Grenzen
sucht in seinem Gedächtnis nach Bekanntem,
nach ehemals aufgesogenen Bildern.
Er sucht und sucht die vertrauten Menschen.
Gespeichert hat er sie in unzähligen Bildern,
aber die Bilder
wollen nicht mehr zusammenpassen.
Wo bist du, mein Freund?
Eben warst du mir noch so vertraut,
und ich konnte deine Wärme spüren.
Ich sah dir in die Augen,
aber nun zerfällst du mir.
Ich sehe nur noch die Bruchstücke.
Ich suche dich.
Ich suche,
ich suche,
bis ich dich wieder finde
als ein Gegenüber.
 
Die Windungeheuer haben sich über Nacht verzogen.
Leben lieben steht auf meinem Programm,
das ich im Morgengrauen entwarf.
Doch ich fand noch keine Ruhe.
Meine Ohren haben sich weit geöffnet
und lassen die winzigkleinen Radaumacher
ungehindert in meinem Kopf spazieren.
Sie lärmen um die Wette.
Sie pfeifen und zischen
und schalten einfach den Knopf ab,
der mir das Sehen von Konturen ermöglicht.
Ich sehe den Freund nicht mehr deutlich genug,
um Glück zu empfinden über seine Anwesenheit.
Wie kann es denn immer wieder passieren,
dass in Sekundenschnelle alles Geordnete
durcheinander gewirbelt wird?
Es perlen wir Regentropfen
die Eindrücke in ein großes Fass.
Ein unheimlicher Wicht
rührt alles durcheinander.
Was herauskommt,
ist ein ehemals vertrauter Mensch,
der aus hässlichen Stücken besteht und stinkt.
 
Ob es noch einmal möglich wird,
dass jeder Tag,
den ich voll Hoffnung beginne,
ein Tag wird ohne Störungen
durch all die Biester,
die mein gequältes Gehirn bevölkern
und an empfindlichen Schrauben
sich zu schaffen machen.
Ich sehne mich nach Ruhe,
ich spüre unbeschreibliche Sehnsucht
nach einem Tag ohne jene Wesen,
die mich verwirren,
so dass ich tue,
was ich nicht will,
aber lasse,
was kein Mensch ahnt,
weil niemand mir so etwas zutraut.
 
Es scheint die Sonne,
es blühen die schönsten Frühlingsblumen.
Ich war heute morgen im Wald,
der widerhallte vom Vogelgezwitscher.
Ich konnte den Lärm sogar ertragen,
 
als ich wieder zu Hause war,
spürte ich eine abgrundtiefe Müdigkeit,
aber ich stellte fest,
dass ich wieder hören,
sehen und fühlen konnte
wie an guten Tagen.
 
(April 95)
 

 

Enttäuschung
 
Es gab eine Hoffnung
an Sommertagen.
Ich konnte mich spüren,
und ich fühlte
mich ganz.
Es hätte endlos
so weitergehen
sollen.
Aber es kamen
zurück
Windungeheuer
und ließen
mich zappeln
wie Espenlaub.
Ich bin zu leicht,
um festzustehen
wie ein Baum.
Ein Blatt bin ich,
das der Wind
verweht.
Wo finde
ich
den Boden,
der
mich standfest
werden
lässt?
Ich will
Boden
unter
den Füßen
haben.
Kein Blatt
mehr
sein,
das der Wind verweht.
Ich will
sein
wie ein Baum,
standfest
und mit
saftigen Blättern.
Ich.
Ein Baum.
(1995)




 
 
 
Eiseskälte
 
Eiseskälte auf Höhenwegen
Der Wind schneidet die Haut.
Lebensängste in warmen Stuben.
Die Wut beißt sich fest.
 
Wetterleuchten am Abendhimmel.
Das Licht blendet den Mann.
Hoffnungsschimmer für kranke Menschen.
Der Mut kommt zurück.
 
(2006)
 
Seelenkälte
 
Seelenkälte,
Sonnenschein
im
Februar.
Was passiert mit
mir?
Ich werde hin- und
hergeworfen.
Nichts kann
mich halten.
Meine Schreie
im Wald.
Wie sie hallen
und Mensch
und Tier
verstören.
Neues Leben
regt sich.
Ich aber sterbe
einen einsamen Tod.
Was kann ich noch tun?
Ich kann nichts tun.
Gedankenfetzen
irren durch
meinen Kopf.
Ich hatte mal
Hoffnung.
Nun ist alles vorbei,
alles vorbei.
Grau und trüb
ist der Abend
Im Februar.
 
(2008)
 
Wie schön war das Leben
 
Wie schön war das Leben,
als wir Reisen machten.
Wie hab ich genossen
das Fremde und Ferne.
Wie konnte ich
alles aushalten
und mich
zusammen nehmen.
Es gab Freude in
meinem Leben.
Es gab Liebe in meinem Leben.
Nun gibt es nur
noch Verrücktheit.
 
(2008)
 
 
Im Mai
 
Im Mai
blühen die Bäume
Und Kinder hungern trotzdem.
Im Mai weint das Tränende Herz
über Kinder im Irak.
 
Im Mai
singen die Vögel um die Wette
Und Kinder schreien,
weil sie die Eltern verloren
im Krieg.
 
Im Mai quaken die Frösche
am Rand des Sees
Und Politiker streiten,
wie sie Zulagen kürzen sollen.
 
(2003)
 
Eine Qual ist das Leben
 
Eine Qual ist das Leben
manchmal,
wenn graue Schleier die Wolken verdunkeln.
 
Eine Freude schenkt das Leben
manchmal,
wenn Sonne den Himmel erhellt.
 
Ich denke nicht mehr
an dunkle Stunden,
weil alles grünt und blüht.
 
Ich warte nicht mehr
auf etwas Schönes,
dessen ich habhaft werden kann.
 
(2003)


Mai
 
Wie grün alles geworden ist.
Die Blumen blühen und vergehen.
Kurz ist die Freude,
lang währt der Schmerz.
 
Das Leben ist
wie der Monat Mai.
Hoffen und Vergehen
lösen sich ab.
 
Aber was bleibt,
ist die Gewissheit, dass
alles Werden und Vergehen
einem höheren sinn entspringt.
 
Gottes Wirken wird spürbar
jeden Tag.
Die Hoffnung kann nicht
verloren gehen.
 
(2003)
 
 
Mai
 
Sommerhitze,
die zu früh hereinbricht
und die Geister des Lebens lahmt.
Schwüle
drückt auf meinen Lebenswillen.
Gerüche
verbreiten sich
und durchziehen alle Räume.
Schwer fließt das Blut in den Adern.
 
(2003)
 
 
Ob die Kinder hören
 
Ob die Kinder hören,
wie sie and’re stören?
Sieh das Kind, das nicht mehr lacht!
Was hast du aus ihm gemacht?
 
Ob die Kinder sehen,
was sie nicht verstehen?
Geh zum Kind, das kreischt und schreit!
Pack es fest! Sieh an sein Leid!
 
Wie die Dinge liegen,
wie sie sich verbiegen,
was das Licht aus ihnen macht,
hat kein Mensch sich ausgedacht.
 
Aber manche mögen’s leise,
sprechen eine feine Sprache,
die kein Mensch verstehen kann,
der nicht kennt die Trauerweise.
 
(2005)
 
Blaue Blume am Ackerrand
 
Blaue Blume am Ackerrand,
versteckt unter welken Sträuchern.
Verborgene Schönheit.
Viele gehen achtlos vorüber.
 
Kranke Menschen im Niemandsland,
vergessen im grauen Alltag.
Vergangene Sehnsucht.
Mancher schließt wortlos die Augen.
 
Ersehntes Kind an der Mutterbrust,
geborgen in bergenden Armen.
Geliebte Hoffnung.
Einer bleibt staunend stehen.
 
Blaues Unkraut am Weg ich fand,
vertrocknet und entsorgt.
Verachtete Schöpfung.
Wer wird das Erniedrigte aufrichten?
 
Dunkelheit
 
Dunkelheit.
Weihnachten ist nicht weit.
Depressionen
verdunkeln das Leben.
Lebendigkeit.
Weihnachten mindert das Leid.
 
Unruhe
lässt Engel schweben.
Traurigkeit.
Weihnachten macht dich bereit
dem Tod
In die Augen zu sehen.
(2006)
 
 

  

An die Nachgeborenen
(B. Brecht nachempfunden)
 
Geboren wurde ich in der Zeit
Großer Unwissenheit,
als niemand wusste,
was den Autismus ausmacht.
 
In die Schule kam ich,
als Lehrer meinten,
Autisten seien geistig behindert.
 
Ich empörte mich
In großer Einsamkeit.
So verging meine Zeit,
die mir auf Erden gegeben war.
 
Mein Essen aß ich zwischen
Geistbehinderten,
die selbstständiger waren als ich,
die meine Not nicht erkennen konnten.
 
Mein Weg war ein einsamer,
den ich ging ohne Sprache.
Die Worte blieben im Hals stecken
Und kamen nicht heraus.
 
Die Kräfte waren gering,
und ich konnte meinen Körper
nicht dirigieren.
Ich schrie vor Erschöpfung
Und hielt es nicht aus.
 
So verging meine Zeit, die mir gegeben war.
 
Ich verstand die Menschen,
aber sie verstanden mich nicht.
Ich hatte Gedanken,
die keiner mir zutraute.
 
So verging die Zeit,
bis ich schreiben lernte.
 
Ich schrieb, was ich dachte
Und füllte viele Blätter.
Was niemand glauben wollte,
es war so, gewiss.
 
So verging die Zeit,
bis ich erwachsen wurde.
 
 
II.
 
Wirklich, ich lebe in besseren Zeiten.
Was Autismus bedeutet,
hat sich herumgesprochen.
Die Unwissenden haben die Nachricht
Nur noch nicht empfangen.
 
Was sind ds für Zeiten,
wenn autistische Menschen
zum Schweigen verurteilt sind.
Wenn Betreuer nicht glauben,
dass sie Schreiben und Lesen gelernt haben.
 
Was sind das für Zeiten,
wenn Autisten für geistig behindert
erklärt werden müssen,
damit sie einen Heimplatz bekommen.
 
Was sind das für Zeiten,
wenn Väter die Familie verlassen,
weil sie sich nicht verwirklichen können
mit dem autistischen Kind.
 
Man sagt mir:
„Sei zufrieden!
Deine Eltern tun alles für dich.“
Ich aber fühle die Ungerechtigkeit,
unter der andere leiden.
 
Ich wäre gern ein Freund
Für Menschen, die ungerecht behandelt werden,
auf die niemand hört,
weil sie beim Schreiben gestützt werden.
 
Es muss möglich werden,
dass alle Betroffenen
gefördert werden
gemäß ihrer Gaben.
 
III.
Ihr, die ihr Verantwortung
Tragt in Diakonie und Politik,
lasst nicht Menschen verkümmern,
die nicht sind wie ihr.
 
Die normal aussehen, deren Gehirn
Aber nicht arbeitet
Wie menschliche Gehirne
Arbeiten sollen.
 
Ihr, die ihr ungerecht behandelt werdet,
gebt nicht auf,
eure Stimme zu erheben.
Sagt es allen,
dass ihr denken und fühlen könnt
wie jedermann.
 
 
 
 
Was sind das für Zeiten..
 
Was sind das für Zeiten,
wenn ein Hinweis auf mangelhafte Betreuung
fast ein Verbrechen ist,
weil es ein Schweigen
über staatliche Wohltaten einschließt.
 
Was sind das für Zeiten,
wenn ein Hinweis auf Verschleppung von Anträgen
fast ein Verbrechen ist,
weil es ein Schweigen
über eine gerechte Gesetzgebung einschließt.
 
Was sind das für Zeiten,
wenn man über die Fähigkeiten behinderter Menschen
nicht reden darf,
weil es ein Schweigen
über Verhaltensstörungen einschließt.
 
Was sind das für Zeiten,
wenn ein Gespräch über schreibende Autisten
fast ein Verbrechen ist,
weil es ein Schweigen
über geistige Behinderung einschließt.
 
Was sind das für Zeiten,
wo ein Gespräch über Bäume
fast ein Verbrechen ist,
weil es ein Schweigen
über so viele Untaten einschließt.
 
So dichtete einst Brecht,
als Deutschland im Unrecht war.
 
Ich aber dichte in Zeiten,
wo manche Menschen
im Rechtsstaat
keine Gerechtigkeit erfahren.
 
 
 
 
 
 


 
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