Dietmar Zöller

Gestütztes Schreiben - 03.02.21

03.02.2021

Warum es autistischen Kindern ohne Lautsprache hilft, wenn man sie beim Schreiben und beim gezielten Tun anfasst (stützt)
Ein Resümee nach 50 Jahren mit eingeschränkter Lautsprache 

Ich war ein unglückliches Kind, weil ich mich nicht verständigen konnte, und in einer Gruppe mit anderen Kindern in der Ecke stand, und an Aktivitäten mich nicht beteiligte. Ich verstand Sprache, konnte aber nur wenige Wörter trotz intensiven Übens nachsprechen. Ich habe nicht vergessen, dass ich einmal daran scheiterte, einen Turm mit drei Klötzen zu bauen. Nicht, dass ich nicht die Zahl drei gekannt hätte, ich wusste aber nicht, was ich mit den Händen machen sollte.
Heute weiß ich, dass man mich hätte anfassen müssen, dann hätte ich meine Hand gespürt und hätte tun können, was von mir verlangt wurde. Ich weiß heute auch, dass es nicht ausreichte, mich verbal aufzufordern mit in die Gruppe zu kommen, man hätte mich anfassen müssen.
Ich erinnere mich an meine Gefühle, die stark waren. Ich fühlte, dass ich gemieden wurde und hörte, wenn über mich getuschelt wurde.
Zu Hause lernte ich manches, aber stets fasste mich meine Mutter an, ohne zu wissen, warum sie es tat. Ich füllte viele Blätter mit Vorübungen, die auf das Schreiben vorbereiten sollten. Das klappte aber nur, wenn meine Mutter den Arm anfasste. Ich lernte Wörter zu schreiben, und es folgten bald ganze Sätze. Als ich die ersten Sätze frei formulierte, war das Staunen groß. Weil Mutter mich ständig anfasste, dachten alle, die zusahen, dass Mutter die Urheberin dessen war, was ich schrieb.
Als wir diese Erfahrung machten, wussten wir nichts von einer Gestützten Kommunikation. Die Gestützte Kommunikation, die Rosemary Crossley in Australien entwickelte, gab es noch gar nicht. Da ich nie so geschrieben habe, wie Crossley es fordert, hat mich die Kritik, die das Gestützte Schreiben verwarf, gar nicht getroffen. Ich propagiere aber nach wie vor die Methode Gestützte Kommunion nach Crossley. Wichtig ist, dass autistische Kinder ohne Lautsprache sich schriftlich artikulieren können.
Heute bin ich der Überzeugung, dass Schreiben das Denken fördert, und das selbstständige Denken möglich werden kann. Wer meine zahlreichen Publikationen liest, trifft immer wieder auf Hinweise, dass ich in vielen Situationen angefasst werden muss, um mich orientieren zu können. Wenn ich als Erwachsener meine Reiseberichte noch mal lese, wird mir klar, dass Vater oder Mutter mich oft anfassen mussten. Ich konnte dann auch schwierige Situationen meistern.
Nun stellt sich immer wieder die Frage:
Wollte ich nicht oder konnte ich nicht? Oft konnte ich nicht ausführen, was ich wollte, es kam aber auch immer wieder vor, dass ich gar nicht wollen konnte. Ich war manchmal ein Gefangener in meinem Körper.
Heute bekenne ich:
Ich bin selbständig im Denken, aber unselbständig, wenn es um das gezielte Tun geht.

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