Dietmar Zöller

Ein Schlüsselsatz

24.02.22



Das Wort Schlüsselsatz habe ich heute erfunden, es gibt in meinem Leben einen Satz, mit dem ich mich selbst, meiner Mutter und alle, die davon erfahren haben verunsichert habe, als ich erst sieben Jahre alt war. Ich schrieb damals: "Verloren habe ich den Kampf". Meine Mutter hatte mir die Aufgabe gestellt, ein Gedicht abzuschreiben, das begann: "eine Glockenblume schlief". Mutter war überrascht und verunsichert zugleich, sie schwieg nicht über das Erlebte, sondern erzählte jedem, der es hören wollte, dass sie einen Beweis habe, dass ich eigene Gedanken äußerte. Das Beispiel wurde in unterschiedlichen Zusammenhängen veröffentlicht und kommentiert. Mutter war total überrascht, als vor wenigen Tagen ein Freund sie darauf ansprach, dass sie in meinem Buch Autismus und Körpersprache erschienen 2001 im Weidler Verlag, Seite 163 dazu etwas geschrieben habe. Mutter konnte sich nicht daran erinnern. Nun hole ich meinen Schlüssel hervor und kläre darüber auf, dass ich damals sehr wohl wusste, was ich tat. Der Satz „verloren habe ich den Kampf“ brachte zum Ausdruck, dass ich meinen Willen aktivieren konnte. Ich wollte die Beziehung auf Augenhöhe bewusst intensivieren und meinen Widerstand aufgeben. Wenn Mutter in jenem kleinem Aufsatz beschrieben hat, ich sei nach dem Erlebnis besonders fröhlich gewesen, entspricht das meiner Erinnerung. Meine Erinnerung ist außergewöhnlich verlässlich. Der Schlüssel zu jenem Satz wurde wieder gefunden, als ich 52 Jahre alt war. Heute weiß ich genau, dass der Satz "verloren habe ich den Kampf" bedeutete: ich habe mit mir selbst gekämpft und dabei über meinen autistischen Rückzug gesiegt. Ich hatte den Kampf gewonnen, Beziehungen auf Augenhöhe wurden möglich.


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