Dietmar Zöller

Warum ich nicht Korrektur lesen kann

16.10.23     Warum ich nicht Korrektur lesen kann


Exkurs
Die außergewöhnliche visuelle Wahrnehmung der Autisten: neue Erklärung
(Möglichkeiten und grenzen der visuellen Wahrnehmung bei Autismus)

Lesen konnte ich schon lange, bevor ich schulpflichtig wurde. Einzelne Wörter hatte ich früh in meinem Gedächtnis gespeichert. Als ein   Sonderschullehrer ins Haus kam und mir beibringen wollte, mit Hilfe eines sogenannten Lesefensters einen Text Wort für Wort zu lesen, wurde bald klar, dass ich die Erwartungen nicht erfüllen konnte. Ich scheiterte kläglich. Meine Mutter hatte die Erfahrung gemacht, dass ich eine ganze Seite gelesen hatte, während sie noch bei der zweite Zeile war. Das Geheimnis kann ich erklären. Ich erfasse mit einem Blick eine ganze Seite und speichere sie. Dass ich den Inhalt einer gedruckten Seite verstehe, wusste damals meine Mutter. Sie hat es unzählige Male überprüft. Das sogenannte "Lesefenster", mit dem der ausgebildete Sonderschullehrer Erfolg hatte, konnte bei mir garnicht zum Erfolg führen, weil meine visuelle Wahrnehmung sich von der Wahrnehmung normaler oder lernbehinderter Schüler gravierend unterscheidet. Es braucht viel zu viel Zeit, wenn ich jedes Wort einzeln fixieren und analysieren soll. Wenn ich meine Texte, die ich einer Assistentin diktiert habe, korrigieren wollte, würden meine Augen streiken, weil ich gar nicht so lange ein Wort fixieren kann. Meine Augen bewegen sich schnell und verharren nur ganz kurz an einem Punkt. Ob das, was ich diktiert habe, richtig getippt wurde, kann ich inhaltlich nur überprüfen, in dem ich mir den Text noch einmal vorlesen lasse. Bei komplizierten Texten muss nach wie vor meine Mutter Dolmetscherin spielen. Ich weiß, dass ich eine einfache Sprache verwenden sollte, damit mir meine Assistentinnen besser folgen könnten. Aber ich habe nun einmal einen differenzierten Sprachstil entwickelt. Meine Art, mich auszudrücken,gehört zu mir, ist teil meiner Persönlichkeit.


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