Dietmar Zöller

Briefe

04.03.22 


Seit ich schreiben kann, habe ich Briefe geschrieben. Zuerst waren es kurze Mitteilungen, und es war schwierig die Umwelt davon zu überzeugen, dass ich diese Texte geschrieben hatte. Die Vermutung, dass meine Mutter dahinter steckte, lag nahe, denn sie musste mich beim Schreiben stützen. Über das Stützen habe ich mich in unterschiedlichen Publikationen ausgelassen und möchte mich nicht wiederholen. Ich habe nie aufgegeben, mich für die gestützte Kommunikation einzusetzen. Heute plädiere ich dafür, die gestützte Kommunikation so einzusetzen, dass Kommunikation möglich wird. Ich selbst habe in meinem langen Leben unzählige Briefe geschrieben und stelle mit 52. Jahren fest: Meine Briefe waren und sind das beste, was ich geschrieben habe, ich hatte immer eine oder mehrere Personen im Blick, für die ich mich interessierte und die ein Interesse an mir hatten. Seit zwei Jahren besitze ich ein Smartphone, das ich aber leider nicht selbständig bedienen kann. Meine Assistentin tippt meine Nachrichten und liest mir auch Antworten vor. Die Möglichkeiten, die sich eröffnet haben, um mit anderen Personen in Kontakt zu treten, haben alle Erwartungen übertroffen. Ich stelle fest: Whats App und E-mails bestimmen mein sonst langweiliges autistisches Leben. Täglich verlassen mehrere Nachrichten und Briefe meine Wohnung, und ich warte ständig darauf, das mir jemand hilft, die Antworten aus den Geräten herauszuholen. Ich schreibe gar nicht mehr, aber ich bemühe mich, mein Anliegen in Sprache zu fassen, dass meine Assistentin versteht, was ich sage und es tippt. Eine umständliche Art der Kommunikation, wird manch einer sagen, ich stimme zu, aber ich bin stolz, dass ich auf diese Weise sehr produktiv bin, und mit einer beachtliche Anzahl von Personen einen intensiven Kontakt pflege. Ich habe gelernt, schnell und flüssig zu formulieren. Ich möchte FC Nutzer ermutigen, sich auf Briefwechsel einzulassen. Das Leben wird reicher, wenn man auf diese Weise Kontakte pflegen kann. Wenn ich durch unsere Familienwohnung streife, komme ich an vielen Bücherregalen vorbei, staunend bleibe ich vor einem Regal stehen, das meinem Vater gehört, es sind alles literarische Briefwechsel, bekannte Namen von Schriftstellern, Philosophen und Künstlern springen mir in die Augen. Das Schreiben von Briefen hat eine lange Tradition. Ob und wer bei historischen Briefen mit geholfen haben könnte, steht nicht im Zentrum der wissenschaftlichen Forschung. Daran möchte ich die erinnern, die immer noch die Meinung vertreten, dass die gestützte Kommunikation nutzlos sei, weil die die schreiben, beeinflusst werden können. Wir Autisten mit Problemen, sich lautsprachlich verständlich zu machen, sind darauf angewiesen, dass wir mit anderen Menschen kommunizieren können. Wir brauchen die Kommunikation, damit unsere Persönlichkeit entwickelt und sichtbar wird.


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