Dietmar Zöller

Vom Schenken und Beschenktwerden


In Vorbereitung:







Inhaltsverzeichnis

 
1. Einleitung
2. ‚Verschenkte‘ Erzählungen
3. Reiseandenken
4. Eine Sammlung poetischer Texte zum Verschenken
5. Fabeln, die entlarven und Kritik transportieren
6. Geschenkte Aufmerksamkeit
7. Geburtstagsgeschenke, die die Beschenkten stolz vorzeigen
8. Ich und Du
9. Besinnliches zur Weihnachtszeit
10. Weihnachten trotz Pandemie
11. Schlussgedanken
Der Autor stellt sich vor
Anhang: Wie ich zu einer eigenen Technik der Seidenmalerei kam

1. Einleitung 

Warum möchte ich, dass dieses Buch ein Vorlesebuch wird? 

Als 1989 mein erstes Buch „Wenn ich mit euch reden könnte“ erschienen war, schrieben mir unabhängig voneinander zwei Lehrerinnen, dass sie  ihren Schülern aus meinem Buch vorlasen und die Erfahrung machten,  dass die Kinder ganz ruhig wurden und aufmerksam zuhörten. Daran  dachte ich, als ich die Texte für dieses Buch zusammenstellte. Könnte nicht  manch ein Text ähnliche Wirkung haben und Alt und Jung zum  Nachdenken bringen? Ich bin gespannt auf die Wirkung. 

Mein erstes Buch war nicht als Vorlesebuch konzipiert. Aber die Texte  waren kurz und es gab etliche Gedichte, so dass man das Buch nicht  fortlaufend lesen musste. Die Schüler, von denen die Lehrerinnen  berichteten, waren vermutlich Schüler von einer Schule für  Geistigbehinderte. Ich habe im Laufe meines Lebens viel über die Schüler  nachgedacht, die als Geistigbehinderte bezeichnet wurden. Vor einigen Jahren hatte ich die Möglichkeit, Einblick in eine  Filmaufnahme zu nehmen, die eine Familie von ihrem damals 16-jährigen  autistischen Sohn gemacht hatte. Der Junge trug mein 1989 erschienenes  Buch („Wenn ich mit euch reden könnte“) mit sich herum und wollte es  nicht einmal beim Essen weglegen. 

In einer anderen Szene las der Vater seinem Sohn, von dem niemand in  der Schule annahm, dass er lesen könnte, aus meinem Buch vor. Ich war  beeindruckt und fragte mich, ob es vielleicht in den Förderschulen  Schülerinnen und Schüler gibt, die lesen können und meine Texte  verstehen. 

Und nun zu meinem neuen Buch, das ich als Vorlesebuch konzipiert habe.  Es geht nicht um neue Texte, sondern um Texte aus verschiedenen Zeiten, von denen zum Teil mehrere Fassungen vorliegen. Es sind auch Texte  dabei, die im Zusammenhang mit einem Literaturstudium entstanden. Ich  wurde angehalten, unterschiedliche literarische Formen auszuprobieren. Mir hat das experimentelle Schreiben Spaß gemacht. Warum sollten nicht  Schüler von Förderschulen angesprochen werden und auch den Humor  verstehen, der zum Beispiel in den Fabeln versteckt ist. Heute lesen auch 

viele Erwachsene nicht gern dicke Bücher. Ich habe die Vorstellung, dass in  einem Gesprächskreis von interessierten Lehrern, Betreuern oder Eltern über kurze Texte, die vorgelesen werden, Gespräche entstehen. Dabei  muss es keinesfalls immer um das Thema Autismus gehen. Ein Blick über  den Tellerrand kann den Horizont erweitern und den Blick für Menschen  öffnen, die andere Probleme als Autismus zu tragen haben. Dieses Buch ist ein Experiment und hat nicht als oberstes Ziel, über  Autismus zu informieren. Was ich erzähle, soll auch erheitern und Zuhörer zum Lachen bringen. Ich bin durchaus in der Lage, über mich selbst zu  lachen. Ich habe alte Klamotten herausgekramt und hoffe, dass ich damit  großen und kleinen Menschen eine Freude bereiten kann.  Ein „Altenbegleiter“ in einer anthroposophisch gefärbten Einrichtung für alte Menschen, dem ich das Manuskript für dieses Buch schenkte, las in  regelmäßigen Abständen den Frauen und Männern in einer Wohngruppe  aus dem Buch vor. Die Resonanz war erfreulich. Die alten Menschen  tauten auf und wollten immer mehr über mich wissen. Im Gespräch mit diesem Altenbegleiter wurde mir klar, dass man das Vorlesen durchaus als  ein Teilhabeangebot für Menschen mit Kommunkationsproblemen sehen  kann.  

Es hat lange gedauert, bis ich einen passenden Titel für dieses besondere  Buch gefunden hatte. Der Titel „Vom Schenken und Beschenktwerden“ hat etwas dynamisches und weist drauf hin, dass es um Beziehungen geht,  um eine Art von Kommunkation. Man könnte den Titel auch umkehren „Vom Beschenktwerden und Schenken“. Der Titel spiegelt in hohem Maße  mein Leben, das gefährdet war vom Säuglingsalter an. 

Geschenkt wurde mir ein Leben, das viele Fragen offen ließ.  Geschenkt wurde ich meinen Eltern im fremden Land ohne Perspektive für  mich.  

Geschenkt wurde ich meinen Brüdern, die nicht ahnten, welche Bürde sie  tragen mussten. 

Doch dann die Wende.  

Geschenkt wurde mir ein Lebensjahr, geschenkt wurden mir viele  Lebensjahre,  

prall gefüllt mit Erlebnissen und Erfahrungen.  

Ich wurde zum Geschenk für meine Familie. 

Ich erfuhr Liebe und lernte, Liebe zurück zu geben. 

Geschenkt habe ich meine Liebe, ohne Reue und ohne Enttäuschung.  Es gab Liebe zurück in Hülle und Fülle.  

Ich habe geschenkt und wurde beschenkt.  

Mein Leben, ein Geschenk, das ich wertschätze. 

Ich habe im Laufe meines Lebens oft und gern Geschenke gemacht. Da waren zum Beispiel die jährlichen Weihnachtsrundbriefe und einige  unveröffentlichte oder noch nicht veröffentlichte Manuskripte, die mein  Vater wie ein Buch zusammenfügte und  kunstvoll mit einem Einband versah.


Ich
schenkte meinem Patensohn Julian ein  

solches selbstgemachtes Buch zur  

Konfirmation. Das Buch hatte den Titel „Nun  

bist du soweit, wie ich nie gekommen bin /  

Ein autistischer junger Mann verfolgt die  

gesunde Entwicklung seines Patenkindes“.  

Das Buch enthielt die Briefe, die ich Julian  

schrieb, seit er auf der Welt war. 

Ich bekam, wenn ich etwas verschenkt hatte,  

Dankbarkeit und große Wertschätzung  

zurück. Es entstanden Beziehungen, die  

Jahrzehnte hielten und in einigen Fällen bis zum Tod der Freunde und  Freundinnen dauerten. Ich lernte früh, dass es immer wieder für mich ein  Du gab, dem ich vertrauen konnte und von dem ich große Wertschätzung  erfuhr. Manchmal war ich beschämt, was mir anvertraut wurde. Aber es  gab für mich ein Problem: Bilder, die ich malte, verschenkte ich selten als  Original. Ein Bild zu verschenken war immer so, als gebe ich mich selbst  weg. War und ist das Egoismus? Beschämt bin ich noch heute, wenn ich  sehe, dass Kopien von meinen Bildern bei lieben Menschen an der Wand  hängen. Dazu gehören selbstgebastelte Kalender mit Bildkopien, die viele  Jahre überstanden.  

Martin Bubers Titel einer berühmten philosophischen Abhandlung, „Ich  und Du“, fällt mir immer wieder ein, wenn ich daran denke, welche  Bedeutung Geschenke, die ich machte, bekamen. Es ging immer um die  Beziehung Ich und Du, die zu einer Beziehung Du-Ich wurde. 

Spuren 

Ich lernte schreiben Und hinterließ Spuren Spuren meiner Gedanken Und Gefühle. 

Schreiben schafft 

Abgrenzung, 

schafft Einblicke, 

Rückblicke und 

Erinnerung.

Derzeit suche ich noch nach einem Verlag für das Buch.


 
us