Dietmar Zöller

Gewalt im Krankenhaus

„Wir dürfen Ihren Sohn nicht festhalten, das wäre Gewalt.“ Das sagte mit einer Stimme das Pflegepersonal im Krankenhaus der entsetzten Mutter des autistischen Mannes. Also fand die Blutentnahme nicht statt. Den Disput mit der besorgten Mutter des Autisten erspare ich mir. Da das Wochenende bevorstand, ließ sie sich mit dem Sohn nach Hause bringen, ohne erfahren zu haben, warum eine Behandlung mit einem Breitbandantibiotikum nötig gewesen war und ob die Behandlung angeschlagen hatte.

 

Vollmacht

Für medizinisch notwendige Eingriffe erteile ich die Erlaubnis, mich kurzzeitig zu fixieren oder gewaltsam festzuhalten.

Dietmar Zoeller

27.02.2019

Unterschrift …..

Zeugin: Palma Sanso

 

Die vorliegende Vollmacht formulierte ich, als eine Zahnbehandlung bevorstand. Nach dieser Zahnbehandlung, bei der mir sechs Zähne gezogen worden waren, schrieb ich in mein Tagebuch: Zahnoperation am 26. August

Ich bin gerettet aus den Klauen einer sturen Anästhesistin. Aber solche Menschen haben keine Ahnung, was ich für ein differenzierter Mensch bin. Anhören zu müssen, wie sie meine Mutter abgekanzelt hat, war schrecklich. Nicht einmal meine Vollmacht wollte sie anerkennen. Ohne Gernot und Palma wäre es eine Katastrophe geworden und nichts wäre passiert. Aber Gott hat seine schützende Hand über mich gehalten.

Wenn es doch möglich wäre, in solchen Situationen als vollwertiger Mensch anerkannt zu werden. Ich weiß, dass man mich nach wie vor für debil hält.

 

Vorausgegangen war eine schlimme Erfahrung im Krankenhaus, wo ich als Notfall aufgenommen worden war.

Nachdem ich von der Intensivstation in ein Zimmer verlegt worden war, gelang es nicht, mir Blut abzunehmen.

„Sie müssen ihn fest anpacken, dann klappt es“, sagte ruhig die fast blinde Mutter, die den autistischen Sohn begleitete.

„Das geht nicht. Das ist Gewalt. Das dürfen wir nicht.“

Am Tag der Entlassung, die von der Mutter gefordert wurde, weil kein Ergebnis vorlag…

 

Ich verstehe, dass es Bestimmungen geben muss, die Patienten vor willkürlichen Zwangsmaßnahmen schützen. Verständlich, dass kein Pflegepersonal und kein Arzt in den Verdacht kommen möchte, Gewalt anzuwenden. Nun gibt es aber Personen wie z.B. manche Autisten, die sich gegen Spritzen, Infusionen oder ähnliche notwendige Eingriffe wehren. Was wie ein willkürliches Abwehren erscheint, kann z.B. bei Patienten aus dem Autismusspektrum Gründe haben, die nicht mit Angst zu erklären sind. Etliche Patienten haben offenbar gar kein normales Schmerzempfinden. Darum ist ein gut gemeintes „Es tut nicht weh“, unpassend.

Für mich selbst behaupte ich, dass meine Abwehr nicht gesteuert ist, d.h. dass es Körperreaktionen gibt, die ich nicht beeinflussen kann. Da ich das weiß, gestatte ich dem Pflegepersonal, mich festzuhalten, um den medizinisch notwendigen Eingriff möglich zu machen. Ich erlebe das nicht als Gewalt.

us