Dietmar Zöller

Unruhezustände, die sich nicht willentlich beeinflussen lassen

 

 

Unruhezustände, die ich nicht willentlich beeinflussen kann

 

 

Die Unruhe kommt und geht. Sie ist nicht ständig da. Es sieht so aus, dass dabei auch Wetterfühligkeit eine Rolle spielt. An manchen Tagen kann ich weder sitzen, noch liegen. Ich springe auf, stampfe durchs Zimmer, lege mich wieder aufs Bett, und schon springe ich wieder auf. Manchmal treibt mich die Unruhe die Treppe runter – und wieder rauf in mein Zimmer. Still sitzen kann ich nur dann, wenn ich mit der Hand schreibe, d.h. wenn ich konzentriert geistig arbeite.

 

Die Unruhe wurde schon vor etlichen Jahren beobachtet. Ich konnte nicht still stehen, musste immer hin- und hergehen. Das war besonders lästig bei Museumsbesuchen und Ausstellungen.

 

Der Begriff Akathisie kam ins Spiel. Das ist eine Bewegungsunruhe, die als Nebenwirkung einer Behandlung mit Neuroleptica relativ häufig vorkommt.

 

Nun habe ich ja tatsächlich langjährige Erfahrungen mit Neuroleptica. Namen von Medikamenten, die mir spontan einfallen: Risperdal, Olanzapin, Seroquel, Abilify. Bin ich dauerhaft geschädigt, weil in den Dopaminhaushalt eingegriffen wurde?

 

Aber inzwischen hat die Unruhe noch eine andere Qualität bekommen. Ich agiere zuweilen wie ein „Verrückter“. Ich mache Sachen, die ich gar nicht machen will. Beispiele:

 

Ich klopfe auf den Tisch, ich spiele mit der Gardine, schleudere sie hin und her, ziehe den Gurt des Rolladens bis zum Anschlag raus, kippe einen Stuhl, lass ihn an die Tischkante stoßen, bringe Bilder in Schwingungen und reiße Schubladen auf, die dann mit viel Krach zurückschnellen. Warum mache ich das, obwohl meine Eltern genervt sind? Ich verstehe es nicht, will es nicht und schaffe es nicht, rauszukommen, wenn die Bewegung angefangen hat. Ich verstehe es nicht. Es ist so, als ob eine einmal begonnene Bewegung nicht mehr gestoppt werden kann. Wenn ich keinen Stuhl stehen lassen kann, ohne ihn in Bewegung zu setzen, ist das ein Tic, denn die Bewegung ist nicht gewollt. Sie passiert, ist nicht vom Bewusstsein gesteuert. Ich kann nicht erklären, wie das abläuft: Es ist wie eine Starre. Das sieht aus wie Provokation, ist aber keine. Mit dem Türen knallen ist es ähnlich. Es ist keine Willenshandlung und keine Provokation.

 

 

Wenn ich meine täglichen Aufzeichnungen der letzten Jahre lese, dann stoße ich immer wieder auf Bemerkungen über ungewollte, nicht geplante motorische Äußerungen, die mich und meine Eltern belastet haben und uns häufig verzweifeln ließen. Wie ist das möglich, dass ich mein Verhalten beschreiben kann, aber nicht in der Lage bin; es zu stoppen? Ich habe schon vor vielen Jahren darüber nachgedacht, warum ich meinen Willen nicht zuverlässig umsetzen kann. Beispiel: Ich werfe etwas auf den Boden. Anschließend bücke ich mich, hebe den Gegenstand auf und lege ihn auf seinen Platz. Warum setzt der Willensimpuls nicht früher ein?

 

 

Zwanghaftigkeit: Ich tue etwas, was ich gar nicht will. Das kommt über mich. Ich merke erst verspätet, dass ich die Bewegung gemacht habe. Ich denke dabei gar nicht. Die Bewegung kommt allein und automatisch, nicht wie andere geplante Bewegungen.  Ich muss dabei nicht überlegen, was ich in welcher Reihenfolge tun muss. Zwanghaftes motorisches Verhalten ist mit einer starken inneren Unruhe verbunden. Es ist ein schlimmes Erlebnis, wenn ich zwanghaft gegen Türen schlage und es nicht lassen kann. Ich empfinde dabei  nicht einmal Wut. Da ist nur Leere, wo ich  etwas empfinden sollte. Da ist auch keine Aggression. Es gibt gar kein Gefühl und das ist das Schlimme. Wenn ich schreien muss, fühle ich auch nichts. Gefühle sind erst wieder da, wenn ich mich beruhigt habe, meist mit Hilfe von Tavor.

 

 

Ich merke, dass die Unruhe wieder anfängt und versuche, dagegen anzugehen mit aller Kraft, die mir zur Verfügung steht. Ich will es wieder loswerden, bevor es eskaliert. Ich muss noch mehr die psychische Kraft bündeln, mich vielleicht auf einen Punkt konzentrieren. Man sollte das Gehirn überlisten können.

 

 

Am 7.2. 17 schrieb ich in mein Tagebuch: „Ich habe Ameisen in meinem Körper. Die Spannung wird nicht richtig kanalisiert. Es ist nicht absichtlich. Ich muss die Spannung abbauen.”

 

Das Bild von Ameisen oder Käfern, die in meinem Körper herumkrabbeln, verfolgt mich schon  seit vielen Jahren. Ein Bild, das ich dazu malte, füge ich an. Ein solches Gefühl führt dazu, dass man keine Sekunde still sitzen oder liegen kann. Man hat die irrige Erwartung, die eingebildeten Viecher im Körper durch die Bewegung abschütteln zu können.

 

Ein anderer Erklärungsversuch für meine unsinnigen, motorischen Aktivitäten ist die fehlgeleitete Körperspannung. Bei jeder zielgerichteten Tätigkeit wird Körperspannung aufgebaut und auch wieder abgebaut. Wenn das nicht gelingt, sucht sich die Spannung einen Ausweg. Es bleibt gar nichts anderes übrig, als etwas Unsinniges zu tun. Der Körper muss ja wieder in die Ruhestellung kommen.

 

 

Am 14.1. 2015 schrieb ich ins Tagebuch:

 

…..Es geht auch um ethische Fragen. Welches ungewöhnliche Verhalten muss die Gesellschaft aushalten/ tolerieren? Wo ist die Grenze des Zumutbaren? Wann ist es legitim, jemanden einzusperren? Ich bin der Überzeugung, dass niemand schuldig ist, wenn sein Gehirn falsche Zusammenhänge herstellt und Verknüpfungen nicht lösen kann. Es läuft immer darauf hinaus, dass die Person nicht wollen kann, was verlangt wird. Das ist mein Thema. Wenn ich randaliere, dann habe ich den Zugriff zu meinem Willen verloren. Ich reagiere dann auf nichts, weder auf Zuspruch, noch auf energisches Eingreifen. Man müsste ein Medikament erfinden, dass den Zugriff zum Wollen ermöglicht.

 

 

 
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