Dietmar Zöller

Schneegestöber in der Passionszeit

02.04.2022 

Was ich erlebte und was ich meiner Mutter zumutete, glaubt keiner.
Drei Nächte ohne Schlaf für Mutter und Sohn. Vater im Krankenhaus. Wer weiß, wann und in welchem Zustand man ihn zurück bringt?
Mein Verhalten war unzumutbar, Bücher und Papiere flogen durch die Gegend. Bilder wurden von der Wand gerissen. Meine Mutter in der Nacht, sie kann mich nur als Schatten wahrnehmen.
Ich erlebte, dass sie sich tastend zum Sessel bewegte. Ich habe begriffen, dass Blindheit schlimmer ist als Autismus.
Ich sehe vieles verzerrt. Ich habe gelernt mit Wahrnehmungsstörungen umzugehen, solange ich lebe.
Das Thema Blindheit ist in mein Bewusstsein gedrungen und lässt mich nicht los. Mutter und Sohn behindert. Aber das Wort "Behindert" ist in Verruf geraten.
Ich lache. Ich bin Behinderter vom Säuglingsalter an. Die Vokabel "behindert " lösche ich nicht.
Und nun sind meine betagten Eltern, bei denen ich lebe, auch behindert. Mutter macht keinen Hehl daraus, blind zum sein. Vater muss lernen, einen Pflegedienst zu akzeptieren. Wir sind und bleiben eine Wohngemeinschaft. Wir lernen, mit unserer Bedürftigkeit umzugehen.
Niemand weiß, wie viel Zeit uns bleibt, unsere Wohngemeinschaft zu gestalten. Da ist das Kreuz, das mein Freund mit eigenen Händen für mich gestaltete. Ich halte mich am Kreuz fest.

 

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