Dietmar Zöller

Gestützte Kommunikation (FC)

Gestützte Kommunikation
Als Behinderter war ich zu der Veranstaltung „Inklusion: Gemeinsam lernen – mit und ohne Handicap“ eingeladen.
Von Dietmar Zöller
Ist Baden-Württemberg ein Entwicklungsland, wenn es um die Umsetzung der UN-Konvention “Über die Rechte von Menschen mit Behinderungen“ geht? Ja, das scheint so zu sein. Andererseits gibt es viele engagierte Persönlichkeiten in Hochschulen und Schulen, die den neuen Entwicklungen gegenüber aufgeschlossen sind. Das zeigte sich am 17. Januar 2012 bei einem Podiumsgespräch mit dem Thema: Inklusion – Gemeinsam lernen – mit und ohne Handicap, zu dem die Stuttgarter Nachrichten eingeladen hatten.
Ich bin nach der Veranstaltung mit einem unguten Gefühl nach Hause gekommen. Pausenlos geht mir durch den Kopf, dass in BW maßgebliche Behörden alles daran setzen, eine Gruppe von ca 300 Schüler/innen und ihre Lehrer/innen nicht zur Kenntnis zu nehmen und zu diffamieren. Es geht um die Schüler/innen, die die Gestützte Kommunikation (FC) anwenden. „Stellt sich eine Kommunikationsmethode als nicht wirksam heraus, darf nicht auf dieser Methode beharrt werden…“, ließ das Sozialministerium an autismus Stuttgart e.V., Regionalverband zur Förderung von autistischen Menschen, schreiben. Man hatte um ein Gespräch gebeten. Es geht um ein Rundschreiben vom KVJS (Kommunalverband für Jugend und Soziales) vom Juni 2011, in dem die Gestützte Kommunikation als nicht evaluierte Therapiemethode abgelehnt wurde. Nebenbei: Gestützte Kommunikation ist keine Therapiemethode, sondern eine Kommunikationsmöglichkeit im Methodenspektrum der Unterstützten Kommunikation.
Ich bin 42 Jahre alt und als autistisch etikettiert. Warum meine Vorbehalte gegenüber den gut gemeinten Versuchen, Inklusion zu verwirklichen? Ich kenne viele Einzelschicksale von autistischen Schüler(n)/innen. Kinder und Heranwachsende mit einer autistischen Behinderung sind für Eltern und Lehrer manchmal „harte Brocken“. Ihr Verhalten ist nicht immer verständlich. Normale pädagogische Interventionen greifen oft nicht. Heute geht etwas, morgen ist nichts möglich, auch wenn sich alle Beteiligten liebevoll um die Person bemühen. Lehrer müssten Engel sein, um mit diesem Klientel Inklusion verwirklichen zu können. Alle Beteiligten müssen verstehen lernen, dass autistische Schüler/innen nicht immer über ein normal funktionierendes Gehirn verfügen. Darum ist nicht jederzeit jede Anpassungsleistung möglich.
Man muss Menschen mit autistischen Störungen ein angemessenes Lernangebot machen, unabhängig davon, ob sie in ihre Lerngruppe passen oder nicht, unabhängig auch davon, ob eine Integration oder Inklusion gelingen kann.
Inklusion wäre für mich gewesen, wenn man anerkannt hätte, dass ich ein normales bis überdurchschnittliches Lernpotential hatte.
 
 
Offener Brief an Personen; die nicht wissen, was sie von der Gestützten Kommunikation (FC) halten sollen
Von Dietmar Zöller
Gestützte Kommunikation (FC) heißt, dass eine Stützperson den Probanden am Arm anfasst, so dass dieser die Kontrolle über diesen Teil seines Körpers aufrecht erhält, um auf Buchstaben einer Tastatur zeigen zu können. FC-Nutzer lernen so das Buchstabieren und lernen, wenn es gut läuft, mit ganzen Sätzen zu kommunizieren. Die Stützperson sorgt auch dafür, dass der FC-Nutzer sich sicher fühlt und bei der Sache bleibt.
 
Stellen Sie sich vor, Sie selbst oder jemand aus Ihrer Familie oder in Ihrem Freundeskreis hätte ein Kind, das sich nicht von allein entwickelt. Ein hübsches Kind mit wachen Augen. Dieses Kind mit den wachen Augen, das auch noch im Schulalter deutlich zurückgeblieben wirkt, lernt auf Buchstaben zu zeigen, wenn man seinen Arm anhebt und/oder es am Handgelenk oder einer anderen Stelle von Hand oder Arm anfasst. Wir sagen: Das Kind wird gestützt. Würden Sie verlangen, dass dieses Vorgehen zuerst einmal evaluiert werden muss, d.h. dass mit Hilfe von wissenschaftlichen Experimenten nachgewiesen werden muss, dass Kinder, die so gestützt werden, selbst die Buchstaben auswählen, auf die sie zeigen?
Das Kind mit den wachen Augen möchte etwas lernen. Aus eigenem Antrieb klappt das nicht. Die Zeit rennt davon. Soll man wirklich auf eine positive wissenschaftliche Erklärung der Gestützten Kommunikation warten? Die Gefahr ist groß, dass ein Kind nicht die Lernangebote bekommt, die seinen kognitiven Möglichkeiten entsprechen. Nach wie vor besuchen die meisten autistischen Schüler eine Schule für Geistigbehinderte.
Ich habe im Laufe meines Lebens viele autistische Menschen kennengelernt, sowohl Kinder als auch Erwachsene. In vielen Fällen ist mir der wache Blick dieser Personen aufgefallen. Alle hatten irgendwann die Diagnose Geistige Behinderung bekommen. Das bedeutet: gravierende Intelligenzminderung (IQ 50 und weniger). Da kann etwas nicht stimmen. Und darum bin ich dafür, bei Kindern, die normale Lernangebote nicht annehmen, es mit dem Stützen, dem physischen Kontakt, zu probieren. Ich habe ja selbst die Erfahrung gemacht, dass ich erst dann gezielt etwas tun konnte, wenn ich angefasst wurde. Als ich nach vielem Üben so weit gekommen war, dass ich einen Stift halten konnte, wenn ich gestützt wurde, malte ich ein vogelähnliches Gebilde und stammelte mit allergrößter Anstrengung – kaum hörbar: kaputter Vogel. Würden Sie auf eine wissenschaftliche Überprüfung bestanden haben, ob ich das wirklich selbst gemalt hatte? Ich hatte realisiert, dass mit meinem Körper etwas nicht stimmte. Auf dem Bild mit dem Vogel steht in der Schrift meiner Mutter: Der Flügel ist nicht richtig angewachsen. Das habe ich gesagt. Wer hat den Vogel gemalt? Es gibt eine ganze Serie solcher Vogelbilder. Was meinen Sie, aus welchem Hirn sind die Bilder entstanden?
Ein anderes Beispiel: Ich hatte gelernt, mit einem Stift zu schreiben, wenn meine Mutter auf meinen Handrücken drückte – eine Form des „Stützens“, die wenig bekannt ist, obgleich sie in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts von Rosalind Oppenheim beschrieben wurde. Ich sollte eines Tages schreiben: Eine Glockenblume schlief. (Anfang eines Gedichtes) Ich schrieb: Verloren habe ich den Kampf. Wie hätten Sie reagiert, wenn Ihnen das passiert wäre? Ich wurde gestützt, habe physische Unterstützung gebraucht, später auch beim Tippen. Ich leiste Schwerstarbeit, wenn ich ungestützt tippe, aber es geht. Für den Notfall, wenn ich meine Hände und Arme nicht gebrauchen kann, weil ich sie nicht spüre, kann ich sprechen. Die Artikulation ist aber schlecht. Meine Mutter versteht mich immer, kann dolmetschen, wenn Fremde nichts verstehen. Ich habe Glück gehabt, dass meine Mutter den Doktoren und Professoren, die mich für schwerst geistig behindert hielten, nicht geglaubt hat.
Und nun habe ich Freunde, die weniger Glück hatten als ich, mit denen ich mich unterhalten kann, wenn jemand sie stützt. Soll ich zuschauen, wie diese Menschen in Traurigkeit versinken, wenn mal wieder angezweifelt wird, dass sie eigene Gedanken von sich geben? Ich habe Mitleid, auch mit jenem Jungen aus unserem Stadtteil, der kürzlich mit seiner Mutter zu uns kam. Er hatte wache Augen. Mit seiner Mutter hatte er noch nie geschrieben, wohl aber in der Schule. Meine Mutter gewann sein Vertrauen. Er schrieb sogar englische Wörter mit ihr. Nein, dumm ist dieser Junge nicht. (15 J), auch wenn er von den Ämtern als schwer geistig behindert und autistisch geführt wird.
FC ist keine Therapiemethode, die man wissenschaftlich evaluieren müsste. FC ist überhaupt keine Therapiemethode, sondern eine Kommunikationsmöglichkeit im Rahmen der Methodenvielfalt der Unterstützten Kommunikation (UK).  Wichtig ist nach meiner Meinung, den Einzelfall sorgfältig anzuschauen. Auch ich würde es nicht unterstützen, dass jemand die Gedanken seines Stützers schreibt. Die Gestützte Kommunikation ist eine Notlösung, aber besser als keine Möglichkeit zu haben sich zu äußern. Kommunikation ist ein Menschenrecht.
 
Gedanken zur Dissertation von Allmuth Bober:
„Zur Wirkungsweise der körperlichen Stütze während der Gestützten Kommunikation. Analyse des Forschungsstands und Ableitung weiterführender Forschungsfragen“
Von Dietmar Zöller
Die Dissertation von Allmuth Bober hat mich interessiert, weil ich mich mit der Thematik “Wirkungsweise der körperlichen Stütze während der Gestützten Kommunikation“ auch schon befasst habe und weil ich seit vielen Jahren darüber nachdenke, warum für meine Entwicklung es so überaus wichtig war, dass ich angefasst wurde, wenn ich etwas tun sollte. Es gab Zeiten in meiner Entwicklung, da wusste ich erst, was ich mit meinem Körper tun musste, wenn ich an dem Körperteil berührt wurde, den ich bewegen sollte. Bober erwähnt in ihrer Dissertation, dass meine Eltern FC praktizierten, bevor Crossley ihre Bücher veröffentlichte. Das „Stützen“ beschränkte sich aber bei mir nie auf das Schreiben, sondern war nötig bei allem, was ich im Zusammenhang mit der verhaltenstherapeutischen Entwicklungs-förderung lernen musste. Ich schrieb ausschließlich mit der Hand, bis die Gestützte Kommunikation (FC) in Deutschland bekannt wurde und ich dann auch das Tippen mit dem Zeigefinger auf einer Tastatur lernte.
Bober tritt an, um die Annahmen der FC-Befürworter und FC-Kritiker darzustellen und zu prüfen, wo noch Forschungsbedarf vorliegt.  Es wird auf den ca. 270 Seiten dieser umfangreichen Arbeit immer deutlicher, dass Bober die Meinung vertritt, dass FC-Nutzer ideomotorische Bewegungen ihrer Stützer lesen können. Sie benutzt dafür den Begriff „Muskellesen“ und führt etliche Beispiele an, in denen es angeblich um die Fähigkeit des Muskellesens geht. (Varietékünstler, das Pferd, das als „ kluger Hans“ bekannt wurde, u.a.)
Als schwer betroffener Autist kann ich nur staunen, was Bober mir und allen anderen FC-Nutzern zutraut. Wir können ja nicht einmal die sichtbaren Bewegungen eines Gegenübers verstehen und imitieren. Außerdem ist das Körpergefühl entscheidend gestört, oft in manchen Gliedern gar nicht vorhanden. Wie sollen wir dann die ideomotorischen Bewegungen der Stützperson aufnehmen? Wie soll das mit dem Muskellesen funktionieren, wenn ich auf meinem Bett liege und in Gedanken Texte formuliere, die ich später in Gegenwart meiner Stützerin aufschreibe? Ich denke und formuliere vor dem Schreiben. Ich habe Zweifel, ob es für einen Autisten möglich ist, gleichzeitig „Muskellesen“ zu praktizieren und sich auf einen Buchstaben hin zu bewegen. Unabhängig voneinander haben autistische Autoren berichtet (Gerland, Schuster, Mukopadhyay, Williams, Zöller), dass sie immer nur eins können. Williams nennt das “mono“ sein und weist in einem Aufsatz darauf hin, dass jemand, der z.B. bei seinen Gefühlen sei, nicht gleichzeitig sachlichen Anforderungen nachkommen könne. Ich selbst habe, wenn ich einen Buchstaben fixiert hatte, gezögert, ihn anzutippen. Ich konnte nicht gleichzeitig hinschauen und motorisch in Gang kommen. Es ging nur zeitverzögert.
Das gestützte Schreiben mit der Hand; wozu es meines Wissens keine neueren Studien gibt; kommt in Bobers Dissertation nicht vor. Die motorischen Aktivitäten, die erforderlich sind, um ein Wort mit der Hand zu schreiben, sind viel komplizierter als das Tippen eines Buchstabens. Wie soll ein Autist beim Schreiben mit der Hand mit Hilfe von „Muskellesen“ erspüren, was die Stützperson denkt? Beim schnellen Schreiben kann ich mir das gar nicht vorstellen.
Bei allem Respekt vor Bobers Leistung bleibt bei mir ein Unbehagen. Gibt es wirklich die FC-Proponenten und die FC-Opponenten je als homogene Gruppe? Es wird oft nicht gesagt, wer welche Aussage gemacht hat. Ich habe immer gedacht, dass man in einer wissenschaftlichen Arbeit genaue Quellenangaben machen muss. Es wäre interessant zu wissen, wer von den FC-Proponenten die Meinung vertreten hat, „dass es sich beim Autismus primär um eine motorische Störung handele.“ (S. 10) Andererseits erfüllt folgendes Zitat, das die Meinung der Gegenseite wiedergeben soll, den Tatbestand der Beleidigung: „…nach der die FC eine Methode ist, Menschen mit schweren Kommunikationsbeeinträchtigungen zu lehren, so zu tun, als ob sie sich schriftsprachlich mitteilen könnten.“ (S. 25)
Ich habe Bobers Dissertation mit Interesse gelesen und habe die Autorin bewundert, dass sie so viele Studien verarbeitet hat und somit den Stand der Forschung aufzeigt Ich wundere mich aber, dass die Literaturauswahl trotz eines umfangreichen Literaturverzeichnisses etwas einseitig ausfällt. Ich vermisse Hinweise auf neuere Veröffentlichungen zur Hirnforschung (Dziuk, Mostofsky, G. Roth): Mein 2002 bei Weidler erschienenes Buch „Gestützte Kommunikatiion (FC) – Pro und Contra“ wird nicht erwähnt, auch nicht der Bericht über den Workshop bei der Internationalen FC Tagung „Forschung und Praxis im Dialog“ in Basel (2009) mit dem Thema „Warum hilft es vielen autistischen Menschen, wenn man sie stützt?“ (D. und M. Zöller). Der im Loeper Verlag erschienene Berichtsband über die Tagung wurde von Bober benutzt und wird im Literaturverzeichnis aufgeführt.
Positiv zu werten ist, dass Bober die Forschung über FC nicht für abgeschlossen hält. Sie erkennt an, dass für viele offene Fragen Forschungsbedarf besteht.
 
Das wenig koordinierte Nervensystem von FC Nutzern: Auswirkungen bei der Anwendung der Gestützten Kommunikation (FC)
Von Dietmar Zöller
Man sollte einsehen, dass es sich bei der Gestützten Kommunikation (FC) nicht um ein Problem handelt, das man wissenschaftlich experimentell beweisen kann. Das kann nicht gelingen, weil das Nervensystem zu unzuverlässig arbeitet.
Was heißt das? Das kann für jeden FC Nutzer anders aussehen. Aber alle scheinen – wenn man Selbstaussagen von Betroffenen und Beobachtungen von Bezugspersonen berücksichtigt –unter Wahrnehmungsverarbeitungsstörungen zu leiden, die nicht zu jeder Zeit gleich stark ausgeprägt sind. Ich selbst erlebe oft, dass die Integration meiner Sinneswahrnehmungen nicht klappt. Ich brauche dann übermäßig viel Kraft, um etwas Sinnvolles d.h. Ziel gerichtetes zu tun. Ich habe schon vor 18 Jahren Texte auf dem Computer getippt, ohne gestützt zu werden. Das gelang mir aber nur, wenn ich einen guten Tag erwischt hatte, d.h. wenn mein Nervensystem einigermaßen verlässlich gearbeitet hat. Hätte ich an einem Tag; an dem es mir schlecht ging, an einem wissenschaftlichen Experiment zur Validierung von gestützt entstandenen Aussagen teilgenommen, wäre ich vielleicht durchgefallen und wäre zu denen gezählt worden, die als Beweis dafür herhalten müssen, dass die Gestützte Kommunikation unwirksam ist.
Wir brauchen keine weiteren Validierungsstudien, die feststellen oder nicht feststellen, ob FC Nutzer selbst schreiben oder ob sie sich von einer Stützperson beeinflussen lassen. Wir brauchen aber dringend Wissenschaftler aus der Hirnforschung, die helfen können aufzuklären, warum jemand beim Zeigen auf Buchstaben oder bei der Benutzung einer Tastatur einen physischen Kontakt braucht d.h. gestützt werden muss. Personen, die nur mit Hilfe der Gestützten Kommunikation sich mit anderen Menschen austauschen können, sind individuelle Persönlichkeiten. Niemand hat ein Recht zu behaupten, was sie gestützt schreiben, sei unwichtig, sei nicht ernst zu nehmen. Die Gestützte Kommunikation für unwirksam zu erklären, stellt eine Diffamierung derer dar, die damit erfolgreich arbeiten.
(Januar 2012)
 
 
 
 
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